Interview // Zwischen Faszination und Sucht: Wie Gaming das Leben prägt
- Tobias Ziltener
- 12. Okt.
- 3 Min. Lesezeit

Die digitale Welt bietet Raum für neue Erfahrungen, Gemeinschaft und Unterhaltung – doch sie birgt auch Schattenseiten. Im Interview eines Berufsschülers zu seiner Vertiefungsarbeit mit der Fachstelle Gamesucht spricht Sozialpädagoge Martin Krajnc über ganz persönliche Erfahrungen mit Gaming, die feine Grenze zwischen Freizeit und Abhängigkeit und darüber, wie Prävention und Beratung in der Schweiz funktionieren.
Vom Spieler zum Berater
Martin Krajnc ist kein Spielverderber, sondern selbst leidenschaftlicher Gamer. Als Fachperson weiss er, wie sehr das digitale Abenteuer fesseln kann – bisweilen auch zu sehr. Während seiner Jugend erlebte er, wie Gaming nahe an eine Sucht heranführt. Aus diesem Reifungsprozess entstand die Idee, die eigene Erfahrung anderen zugänglich zu machen: Heute berät seine Fachstelle Betroffene, Angehörige und sogar Schulen. Entscheidend: Wer berät, sollte Gaming nicht nur theoriefest verstehen, sondern selbst erlebt haben.
Die Ambivalenz des Spielens
Gamen ist längst Alltag und weit mehr als Eskapismus. Es fördert Kreativität, hilft beim Stressabbau, schafft soziale Kontakte und verbindet Menschen über Landesgrenzen hinweg. Krajnc betont, dass Spielen ein Grundbedürfnis ist – es findet sich bei Menschen wie auch bei Tieren. Dennoch warnt er: Das Gleichgewicht muss stimmen. Problematisch wird das Verhalten, wenn soziale Beziehungen leiden, die Balance verlorengeht und sich die Gedanken nur noch um das nächste Level drehen.
Sucht – mehr als ein Buzzword
Seit 2022 ist die Gamesucht offiziell als psychische Krankheit anerkannt. Krajnc erklärt, dass Diagnose und Prävention sich an klaren Kriterien orientieren. Besonders gefährdet sind junge Menschen im Schulalter und Online-Spiele mit Echtzeit-Wettbewerben, Belohnungssystemen oder versteckten Kostenstrukturen. Dabei beobachten die Fachleute sowohl psychische als auch körperliche Folgen – von Isolation über Konzentrationsschwächen bis hin zu extremen Gewichtsschwankungen.
Suchtmechanismen sind meist gezielt integriert: Unmittelbare Belohnungen, das Gefühl ständiger Fast-Gewinne, soziale Konkurrenz und Ingame-Käufe machen den Schritt von Spiel zur Sucht oft erschreckend klein. Free-to-play und Abo-Modelle, Lootboxen und Mobile Games stehen besonders in der Kritik.
Wenn das Umfeld leidet
Das Umfeld erlebt oft Verunsicherung und Ohnmacht. Viele verstehen die Faszination nicht, können die Welt des Gamings schwer greifen. Krajnc sieht seine Arbeit als Brückenbauer: Verständnis schaffen, Dialog fördern. Wichtig ist, problematische Entwicklung früh zu erkennen, das Thema offen anzusprechen und die Offline-Zeit gezielt zu fördern. Falls das Gespräch nicht gelingt, empfiehlt er den raschen Gang zu Fachleuten – und – bei Bedarf – das gemeinsame Spiel als Brücke.
Was hilft wirklich?
Prävention beginnt im Alltag: Eine abwechslungsreiche Freizeit, intakte Freundschaften und glückliche Familien sind der beste Schutz vor problematischem Gaming. Menschen, die in der echten Welt Anerkennung, Freude und Zugehörigkeit erleben, suchen dies seltener online. Auch der Aufbau von Medienkompetenz in Schule und Familie ist entscheidend. In der Beratung begegnet Krajnc den Menschen auf Augenhöhe, hört zu, fragt nach und entwickelt gemeinsam individuelle Lösungen, ohne dabei therapeutische Arbeit zu ersetzen.
Verantwortung und Ausblick
Die Spieleindustrie entzieht sich bislang der Verantwortung – besonders kritisch werden Geschäftsmodelle gesehen, die auf junge Menschen abzielen und hohe Ausgaben fördern. Die Fachstelle Gamesucht fordert von der Branche mehr Transparenz und Prävention, ähnlich wie bei Casinos. Gesellschaft und Politik sollten das Thema Gamesucht endlich aus der Nische holen und verbindliche Schutzmassnahmen etablieren.
Die digitale Zukunft fordert soziale Verantwortung – und den Mut, auch unangenehme Entwicklungen klar zu benennen. Doch der Dialog hat begonnen. Die Fachstelle Gamesucht baut Brücken, fördert Austausch und bringt Licht ins Dickicht der virtuellen Welten. Nur gemeinsam kann der Spagat zwischen Faszination und Gefahr gelingen.


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